Claudia Hentrich und Burkhard Pfister begutachten in ihrer Atelierwerkstatt ein neues Möbel, das sie nach aufwändiger gemeinsamer Vorarbeit nun vollenden konnten.
Ihre Möbel sind keine im herkömmlichen Sinne. Es sind Kunstwerke, solitäre Stücke, die wohlüberlegt und nach thematischen Orientierungen entstehen.
Der gerade vollendete Schrank „Menschen und Engel an einer Ampel“, 2016, (Abb.) ist ein freistehendes Objekt, das die Nummer 125 trägt und über einem Sockel auf allen Seiten bemalt ist. (Hier spannt sich bereits der Bogen zu Pfisters freier Malerei und seinen „Ampelbildern“, die später noch vorgestellt werden.)
Die Nr. 125 ist ein kostbares Stück, das durch seine fein gearbeiteten Oberflächen und die figurative Malerei eine originäre Aura verbreitet und nach einem Raum verlangt, in dem sich das Objekt entfalten kann.
Ca. 130 völlig unterschiedliche Einzelstücke entwarfen und bauten Claudia Hentrich und Burkhard Pfister bisher, wobei das Bauen im Sinne von Tischlerarbeit den geringeren Teil in diesem komplexen Schaffensvorgang einnimmt. Vor allem die Arbeit an der individuellen Gestalt, der Proportionierung und natürlich an der Funktion des Stückes, dem Verständnis des Möbels als umbauten Raum, als besonderen Ort des Verwahrens bestimmen diesen vielseitig umfassenden Gestaltungsvorgang. Das besondere Erkennungsmerkmal ihrer Möbel sind neben der ausgefallenen Gestalt die Oberflächen, die durch vielfaches Überkleben und Kaschieren verschiedenfarbiger Träger und durch ebenso aufwändiges Abschleifen einen ganz kostbaren farbigen und auch haptischen Charakter erhalten. Das Auge wandert über die Flächen und erfreut sich an fein gearbeiteten Details, sensibel differenzierten Farbstrukturen. Claudia Hentrich, die diese Arbeiten ausführt, erfindet eine lebendige Rhythmik in sich übergreifender Musterungen, Formen und Farbigkeiten. Hentrichs Ideenreichtum, ihre Sensibilität, dazu jahrelange Erfahrung lassen wie beim „Sommerschrank“, 2017 (Abb.) eine Vielfalt an Formen entstehen, die in ihrem kontrastreichen Miteinander eine in sich doch harmonische Farblandschaft bilden. Das Möbel verströmt die Lust der Künstlerin am Ausformen und Fabulieren.
Im Ergebnis unbemerkt bleibt das Ringen um die Form. Das, was so leicht daherkommt, entstammt oft quälenden Entscheidungen, zwischenzeitliche Arbeitszustände zu erhalten oder sie zu verwerfen, um weitere Alternativen anzugehen. Alles Ringen bleibt verborgen hinter der Frische, der Leichtigkeit und Strahlkraft des Sommerschrankes und dessen verströmenden Zauber.
Claudia Hentrich entwickelt eine intensive Zuwendung und Nähe zu asiatischen Lackmalereien. Sie rezipiert diese Tradition schöpferisch durch ihre persönliche Handschrift, zugleich orientiert sie sich in ihren Flächengestaltungen u.a. an Modetrends, aktuellen Dekoren und Musterungen, die als Impulse aufgegriffen werden.
Das Auge wandert über die Flächen und erfreut sich an delikat gearbeiteten Details, farbig gefassten Schnitzereien und Vergoldungen. Das ist ästhetischer Genuss!
Dennoch bleibt eine Gesamtwirkung erhalten, die über die Dekorativität hinaus die Nähe zu einer sehr fantasievollen freien Malerei erkennen lässt.
Diese Arbeitsabläufe sind sehr zeitintensiv. Zeit, die entstehende Arbeit in ihrem Entwicklungsfortgang zu beobachten und zu beurteilen. Nicht vorhergesehene Entwicklungen finden so Eingang in die Grundidee, halten sie flexibel und ermöglichen Abwandlungen.
Diese besondere Art des Möbelbauens lässt das permanente Suchen nach Gestaltungslösungen, Formentscheidungen, Farbigkeiten, den haptischen Möglichkeiten, Licht-und Raumwirkungen und natürlich den Erwartungen des Auftragebers zu einem von dauernder Spannung bestimmten Vorgang werden.
Claudia Hentrich und Burkhard Pfister leben diesen Prozess. Es ist eine intensive Zeit, in der sie mit ihren Stücken „schwanger gehen“. Dem Künstlerpaar bereitet das nicht nur Last und Anspannung, sondern auch Raum für Austausch, Gedankenspiele und auch Traumtänzereien, die künstlerische Arbeit eben begleiten. Dazu stellt sich auch das gute Gefühl ein, etwas Besonderes, Einmaliges zu schaffen. Diese Arbeit ist Befriedigung für die Schöpfer und für den Käufer, immer mit dem Gefühl des Staunens und der Überraschung verbunden. Mit diesen Möbeln lebt man.
Derartig aufwändige Projekte lassen sich nur mit einem besonderen Zeitverständnis realisieren. Das Künstlerduo hat sich wohl dieses entschleunigende Vorgehen zu Eigen gemacht, denn mit Druck lässt sich diese Sorgfalt nicht erreichen.
Die frei an altarähnlichen Kompositionsformen orientierte Figurenordnung auf dem Schrank Nr.125 „Menschen und Engel an einer Ampel“, 2016, (Abb.) eröffnen einen opulenten Eindruck auf eine intensive Auseinandersetzung Burkhard Pfisters mit dem sog. Ampelthema. Dieser Themenbereich nimmt im malerischen Schaffen des Künstlers einen gewichtigen Platz ein, es hat sich für ihn zu einem ewigen Thema ausgeprägt, bei dem er zu immer wieder neuen inhaltlichen und gestalterischen Lösungen findet. Menschen an einer Verkehrsampel, ein alltägliches Bild, eine alltägliche Versammlung auf ein Signal wartender Menschen. Da stehen sie nun, die Mitmenschen, zufällig zusammengedrängt und der Betrachter, fast abstands- und distanzlos in bedrückender Nähe sich gegenüber. Noch verharren sie, um Momente später los zugehen. Ernst ist die Situation, scheinbar lautlos dieser Moment des Verharrens. Wenige Gesten, Fingerzeige, zaghafte Bewegungen verraten die innere Unruhe. Wohl von der Menge unbemerkt und doch herausragend durch Platzierung, Gestalt und Ornat konnten sich Engel ausgestattet mit Pokal, mit Schale oder Posaune unter die Menge mischen. Ein Engel begleitet fliegend die gleich los rennende Menschenschar. Doch die Passanten kehren ihnen ihre Rücken zu. Nur ein kurzer verstohlener Blickkontakt zwischen einer jungen Frau und dem Engel sind zu bemerken.
Pfister lässt Raum für ein breites Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten, das von der beschreibenden Betrachtung zu tieferen künstlerischen Absichten führt.
Es sind Metaphern unserer Zeit, gleichnishafte Spiegelungen unseres Daseins in einer urbanen Gegenwart.
Die Engel in der Menge offenbaren sich schnell als frei aufgefasste Zitate Dürers, als Zeichen der Apokalypse: Vorahnung, Fingerzeig, warnendes Zeichen. So schwebt über allem eine undeutbare Befürchtung, ein generelles Bedenken.
Gekonnt adaptiert Burkhard Pfister seine künstlerische Verbundenheit und Nähe zu den spätmittelalterlichen Meistern für seine individuelle Bildsprache. Den Geist, der sich u.a. über die Art der Figurenanordnung, deren Genauigkeit und Charakterisierung in Altarbildern artikuliert, nimmt Pfister auf und erschließt ihn produktiv für seine Sicht der Gegenwart. Seine Traditionsbezüge erweisen sich als Quelle zeitgeistlicher Beobachtungen mit ihren Befürchtungen und Bedenken.
Dürers Engel sind unter uns, wissen aber anscheinend auch nicht, wo es hingehen soll. Auf die andere Seite schon, ist das aber die richtige?
In den Ampelbildern drängen sich die Menschen das Format fast sprengend aus. Frei von illustrierendem Beiwerk konzentriert sich der Künstler auf die Figurengruppe. Es sind uns beinahe fremd anmutende Mitmenschen. Zugleich erkennen wir uns selbst in ihnen. Eine beklemmend wirkende Deutung der Wegsuche der Menschheit, etwas nicht klar Vorhersehbares liegt in der Luft.
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Aber Pfisters Bildwelt erschließt sich nicht nur über die äußeren, ablesbaren Handlungen, sondern v.a. über die meisterhafte Art der Malerei. Das Bild ist für ihn primär Malerei, ein reich gegliedertes farbiges Gebilde, ein Organismus. Reich an farbigen Schichtungen und Differenzierungen.
Auch hier ist die geistige Nähe zu altmeisterlichen Auffassungen erkennbar, besonders wenn Pfister bis ins kleinste Detail mit sorfältiger Pinselführung arbeitet. Die bleibt auch dann noch bedeutungsvoll und offenbart sich als exzellente Malerei, wenn es sich scheinbar um Nebensächliches handelt. Er lässt eine besondere Mikrowelt entstehen, die erschlossen werden will.
So leuchtet ein tiefes Blau unter dem gebrochenen Farbklima hervor. Hier und da entwickeln poppige Dekore der Shirts ihre eigenwilligen Geometrien. Die farbflirrende Malhaut offenbart Pfisters erfindungsreiche Malkultur. Eine unaufdringliche innere Ästhetik entfaltet sich.
Die in sich bewegten fein geschwungenen Mikrostrukturen, deren turbulente Bewegtheit, erinnern an Fraktale, vergleichbar den Mustern und Zellstrukturen des Lebens. Diese besondere morphologische Beschaffenheit der malerischen Bildstruktur und deren sensibler Erschließung durch den Betrachter machen bewusst, dass ein Bild nicht nur aus äußerlich ablesbaren Bildzeichen besteht, sondern v.a. aus der Formerfindung der Malerei als solcher und deren eigenwertigen Wirkungsfeldern.
Beispielhaft dafür ist der „Gleichberg“ (2014), Eitempera. ( Abb.) Formatfüllend baut sich die Gestalt des Berges als monumentale Form, als riesiger Organismus auf. Der atmet, der lebt. Seine fein ziselierten bewaldeten Oberflächen fügen sich zu einer lebendigen Gesamtwirkung. Wie bei einem schlafenden Riesen erwartet man beunruhigt sein Erwachen.
Pfisters malerisches Credo, seine Philosophie und Ethik des Bildermachens offenbaren sich bereits in dem rituell angelegten Prozedere des Malvorgangs, beginnend mit der Sorgfalt der Farbbereitung aus Pigmenten bis hin zum feinsten letzten Pinselstrich. Es lässt sich vermuten, dass der Künstler sich in die Tradition der weitgehend vergessenen Auffassung einreiht, wonach die Götter auch das letzte Detail erkennen. An diesem Maße misst sich auch Burkhard Pfister.
Mit diesen göttlichen Beobachtern und Richtern hatten auch schon die alten antiken Bildhauer und Dichter zu tun. Deren Welt fühlt sich der Künstler besonders verbunden. Als exzellenter Kenner Homer`scher Urtexte und seiner Helden lebt er seit seiner Jugend in deren Welt. Über die Jahrzehnte entstanden tausende von Zeichnungen und Druckgrafiken, etwa zur Odyssee, zu Gilgamesch und anderen antiken Mythen, (die aber einer gesonderte Besprechung bedürfen).
Dr. Albrecht Rosenstiel